Andrea Kauten begann ihr Klavierspiel mit sieben Jahren bei dem Basler Pianisten Albert Engel. Bereits als 13-Jährige stand sie im Finale des Jecklin Musiktreffens in Zürich. Ein Jahr später wurde sie mit dem ersten Preis des Schweizerischen Jugendmusikwettbewerbs ausgezeichnet. In der Folge studierte Kauten an der Musik Akademie Basel und schliesslich - eine der wichtigsten Stationen in ihrem Leben - an der international renommierten Franz-Liszt-Musikakademie Budapest, wo sie mit Kornél Zempléni und Edith Hambalkó arbeitete. An dem Budapester Ausbildungsort vieler weltbekannter Künstler wie András Schiff, Jenö Jandó oder Ferenc Fricsay verfeinerte sie ihre hochromantische, und doch kontrollierte Spielweise. Mit Leidenschaft, Musikalität und hohem technischen Anspruch entlockt Kauten einem Konzertflügel verhaltene poetische, aber auch sehr ausdrucksstarke Klänge. Immer wieder überrascht sie so ihre Zuhörer: »Flushed and at times over-assertive, Kauten leaves you in no doubt of her commitment and intensity«, so Bryce Morrison in Gramophone.
1993 erschien Andrea Kautens erste CD mit Werken von Franz Liszt, Carl Goldmark und Sergei Rachmaninow. Seither konzertierte sie in diversen Ländern, wie den USA, Kanada, Dänemark, Frankreich, Italien, Ungarn, Deutschland und der Schweiz. Verschiedene CD-Aufnahmen (u.a. bei Sony Classical) dokumentieren ihr künsterlisches Wirken. Seit 2006 ist Andrea Kauten künstlerische Leiterin der Kammermusikreihe »Klassik im Krafft-Areal« in Schopfheim-Fahrnau (Südschwarzwald), die sich unter Kennern der Szene inzwischen zum echten Geheimtipp entwickelt hat.
Der 1962 geborene Musiker studierte am Konservatorium Bern, bei Boris Pergamenschikow in Köln und bei Harvey Shapiro in New York. Mehrere Preise dokumentieren den Beginn seiner Karriere und heute zählt er international zu den renommiertesten Cellisten. Als Solist und Kammermusiker tritt er regelmässig an den grossen Festivals und in bekannten Musikzentren auf und arbeitet mit namhaften Musikerpersönlichkeiten und Orchestern zusammen. Zahlreiche Radio- und Fernsehaufnahmen sowie Schallplatten- und CD-Einspielungen haben ihn einem internationalen Publikum bekannt gemacht. Zu den neusten Aufnahmen zählen die beiden Haydn Cellokonzerte, die er zusammen mit der Camerata Bern unter der Leitung von Erich Höbarth bei Novalis eingespielt hat sowie die beiden Mendelssohn Klaviertrios in einer Aufnahme mit Leonidas Kavakos Violine und Enrico Pace Klavier bei Sony Classical. Patrick Demenga leitet eine Konzertausbildungsklasse an der Haute Ecole de Musique de Lausanne und unterrichtet an verschiedenen internationalen Meisterkursen. Er ist künstlerischer Leiter der Musikfestwoche Meiringen. Als Musiker bewegt sich Patrick Demenga gerne im Spannungsfeld grosser Komponisten – grosser Werke und Zeitgenössischer Musik. Gerade in dieser Verbindung sieht er den Reiz der musikalischen Auseinandersetzung und findet zu seiner aussergewöhnlichen Ausdruckskraft.
→ www.patrickdemenga.ch
Welche Musik magst du besonders?
Gute Musik, egal aus welcher Ecke sie kommt
Welche Musik magst du überhaupt nicht?
Seelenlose Musik
Was ist deine frühste musikalische Erinnerung?
Kammermusik zu Hause
Welches Kompliment von einem Konzertbesucher oder einer Konzertbesucherin wirst du nie wieder vergessen?
„Mit den Klangräumen, die du beim Spielen geöffnet hast, haben sich auch in mir neue Räume geöffnet.“
Was war dein schlimmster musikalischer Albtraum?
Ich bin im Künstlerzimmer und müsste auftreten, finde aber weder meine Konzertkleider noch mein Cello.
Was möchtest du am heutigen Konzertbetrieb ändern?
Weg vom Visuellen, hin zum aufmerksamen Zuhören
Was machst du fünf Minuten bevor das Konzert losgeht?
Ich zentriere mich.
Ist dir mitten in einem Konzert schon etwas sehr Peinliches passiert?
In einem Konzert in Schweden, wo ich zusammen mit meinem Bruder das Cello Duo Lux Aeterna von Alexander Knaifel gespielt habe, ist mir beim Singen der Psalmen auf altrussisch die Stimme ins Wanken geraten und wir mussten deswegen dermassen lachen, dass wir zu spielen aufhörten. Das Publikum im Saal hat sich von uns anstecken lassen und ist ebenfalls in einen lange dauernden Lachkrampf gefallen.
Was schwebt dir vor, wenn du an die Zukunft der Musik denkst?
Musik bleibt Musik. Die Ausdrucksformen und Stile sind nur Zeiterscheinungen. Musik muss auch in der Zukunft den Menschen berühren.
Was für einen Beruf hättest du gewählt, wenn du nicht Musiker geworden wärst?
Geigenbauer, Parfümeur, Detektiv, Physiker, Koch, Arzt, Möbelschreiner, Philosoph…
In Saanen wurde Philippe Bach 1974 geboren. Auch als weltweit anerkannter Dirigent hat er seine Schweizer Heimat nicht vergessen. Mehrere Jahre war er Chefdirigent der Zuger Sinfonietta, bekleidet seit 2012 dieselbe Position beim Berner Kammerorchester und seit 2016 bei der Kammerphilharmonie Graubünden.
Schweizer Institutionen spielten auf seinem Ausbildungsweg eine bedeutende Rolle: An der Musikhochschule Bern und am Conservatoire de Genève studierte er Horn, später auch noch in Freiburg im Breisgau, und nach einem 1. Preis beim Schweizerischen Dirigentenwettbewerb widmete er sich auch intensiv dem Dirigieren. Johannes Schlaefli an der Musikhochschule Zürich und u. a. Sir Mark Elder am Royal Northern College of Music in Manchester waren seine Mentoren.
Auf internationalem Parkett steht der Name Philippe Bach für eine steile Dirigentenkarriere. Nach einem ersten Preis beim International Jesús López Cobos Opera Conducting Competition 2006 wurde er Assistant Conductor am Teatro Real in Madrid und Assistent von Jesús López Cobos; 2007 debütierte er dort mit Puccinis Madama Butterfly. Es folgten zwei Spielzeiten am Theater Lübeck, ehe er 2012 der Berufung als Generalmusikdirektor der Meininger Hofkapelle und des Meininger Staatstheaters folgte. An der traditionsreichen Stätte hat er vor allem Opern von Wagner und Strauss, aber auch von Janáček, Adès, Britten und Verdi dirigiert.
Lang ist die Liste der grossen internationalen Orchester, mit denen Philippe Bach zusammengearbeitet hat, stellvertretend genannt seien das London Philharmonic Orchestra, das BBC Philharmonic Orchestra, das Tonhalle Orchester Zürich, das Basler Sinfonieorchester, das Orchestre de chambre de Lausanne, das Orchestra della Svizzera Italiana, das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, das Helsinki Philharmonic Orchestra oder das Bournemouth Symphony Orchestra.
→ www.philippebach.ch
Welche Musik magst du besonders?
Wagners Opern
Welche Musik magst du überhaupt nicht?
Dauerberieselung im öffentlichen Raum
Was ist deine frühste musikalische Erinnerung?
Openair-Konzerte der Brass Band „Harmonie“ Saanen, wo mein Vater dirigiert hat
Welches Kompliment von einem Konzertbesucher oder einer Konzertbesucherin wirst du nie wieder vergessen?
Ich warte noch darauf…
Was war dein schlimmster musikalischer Albtraum?
Als Hornist war ich mal ohne Mundstück auf der Bühne und der Dirigent hatte schon den Auftakt gegeben.
Was möchtest du am heutigen Konzertbetrieb ändern?
Dass man wieder mehr mit den Ohren zuhört, statt mit den Augen.
Was machst du fünf Minuten bevor das Konzert losgeht?
Fertig umziehen, danach nervös in der Garderobe herumgehen.
Ist dir mitten in einem Konzert schon etwas sehr Peinliches passiert?
Musste mal während einem Mozart-Klavierkonzert vom Podium auf die Toilette.
Was schwebt dir vor, wenn du an die Zukunft der Musik denkst?
Dass jedes Kind auf der ganzen Welt ein Instrument lernen kann, wenn es möchte.
Was für einen Beruf hättest du gewählt, wenn du nicht Musiker geworden wärst?
Kann mir keinen anderen Beruf vorstellen... Vielleicht Winzer?
Das Berner Kammerorchester pflegt seit seiner Gründung 1938 das klassische Repertoire und setzt parallel dazu einen Schwerpunkt in der Aufführung und Vermittlung neuer Schweizer Musik. Bemerkenswert sind die spannenden Kombinationen mit anderen Bereichen wie Tanz, Lichtdesign, Volksmusik und Jazz. Seit der Saison 2012/13 ist Philippe Bach Chefdirigent des BKO.
Es kamen zahlreiche Uraufführungen namhafter Komponisten zustande wie zum Beispiel von Sandor Veress, Albert Moeschinger, Willy Burkhardt, Arthur Furer und Alfred Zimmerlin. Neben Konzerten mit renommierten SolistInnen wie Patricia Kopatchinskaja, Thomas und Patrick Demenga, Mirijam Contzen oder Julia Schröder ist die Zusammenarbeit mit jungen Talenten dem BKO ein wichtiges Anliegen. Mit der Hochschule der Künste Bern als Partnerin werden gezielt junge KünstlerInnen gefördert. Das Berner Kammerorchester ist ein gern gesehener Gast bei verschiedenen Festivals und ist mit Gastspielen in der ganzen Schweiz präsent.
Das Berner Kammerorchester wird von der Stadt Bern, von der Burgergemeinde Bern, vom Kanton Bern und von der Regionalkonferenz Bern Mittelland unterstützt und erhält Förderbeiträge von verschiedenen Stiftungen und Partnern.
Clara Schumann | Klavierkonzert in a-Moll, op. 7 |
Robert Schumann | Cellokonzert in a-Moll, op. 129 |
Johannes Brahms | Serenade Nr. 1 in D-Dur, op. 11 |
Tonspur einer romantischen Seifenoper
Als der junge Johannes Brahms das Haus der Familie Schumann betrat, veränderte er das Leben des Künstlerehepaars Clara und Robert Schumann und die Musik der deutschen Romantik. Die Schumanns sahen im Schaffen Brahms den Aufbruch zu einer neuen musikalischen Ausdrucksform und waren dem schönen jungen Mann auch im Privaten höchst zugetan. Bis heute ranken sich viele Vermutungen und Mythen um diese eigenartige Dreiecksbeziehung. Mit den renommierten Solisten Andrea Kauten und Patrick Demenga bringt das BKO unter der Leitung von Philippe Bach drei Grosswerke dieser faszinierenden KünstlerInnen-Trias zur Aufführung.
Man könnte Clara und Robert Schumann auch als das erste Celebrity-Paar der europäischen Musikgeschichte bezeichnen. Immerhin liest sich ihre gemeinsame Geschichte wie der Plot einer melodramatischen Seifenoper. Der sensible Musiker Robert Schumann verliebt sich in Clara, die um einige Jahre jüngere, hochbegabte Tochter seines strengen Klavierlehrers Friedrich Wieck. Wegen einer Handverletzung muss er den Traum einer Pianisten-Karriere begraben und widmet sich der Komposition. Der Vater verwehrt dem jungen Liebespaar den Segen und Clara und Robert müssen vor Gericht die Ehe gegen den Willen des Vaters durchsetzen lassen. Von Anfang an drängt Robert auf eine Einheit von Privatleben und künstlerischer Tätigkeit. Er animiert Clara zum Komponieren, aber zugleich versucht er ihre pianistische Tätigkeit einzuschränken – wohl nicht zuletzt aus Neid auf ihre Karriere als virtuose Interpretin.
Clara berät Robert bei seinen Kompositionen und umgekehrt. Bereits einige Jahre vor ihrer Ehe hilft Robert Clara bei der Ausarbeitung ihres Klavierkonzertes in a-Moll, dessen Komposition sie im Alter von vierzehn Jahren beginnt. Zuerst entsteht der virtuose Rondo-artige Finalsatz mit seinem widerkehrenden Polonaisen-Thema. Die ersten beiden Sätze komponiert Clara dann ohne Mithilfe die innige Romanze, die dem Klavier nur ein solistisch schwelgendes Cello zur Seite stellt und den majestätisch auftrumpfenden Kopfsatz, den Clara auch selbst instrumentiert. Trotz des Einwirkens von Robert entwickelt Clara zeitlebens eine eigene, unabhängige kompositorische Sprache. Sie stellt dem schwermütig-suchenden Tonfall Roberts eine wesentlich geschlossenere, man könnte sagen selbstbewusstere Klangsprache entgegen.
Im Verlauf der Ehe muss Clara jedoch zunehmend auf das Komponieren verzichten. Es obliegt ihr nicht nur die acht gemeinsamen Kinder zu erziehen, sie muss auch mit Konzertreisen die Familie ernähren, da Roberts Karriere von vielen Rückschlägen und Misserfolgen geprägt ist. Ferner verschlechtert sich sein psychischer Zustand, was dazu führt, dass seine Werke für die Zeitgenossen immer unverständlicher werden. So erlebt etwa sein Cellokonzert in a-Moll aus dem Jahr 1850 keine Aufführung mehr zu Schumanns Lebzeiten und gerät auch danach nahezu in Vergessenheit. Das schwermütige Konzert beginnt mit einem ausschweifenden Dialog zwischen Solo-Instrument und Orchester, der vielmehr das kantable Spiel des Cellos als dessen Virtuosität in den Vordergrund stellt. Nahtlos schliessen die sanften Pizzicati des zweiten Satzes an, über die das Cello seinen innerlichen Gesang entspinnt – eine traurig entrückte Salonmusik. Auch das Finale schliesst attacca an den vorangehenden Satz an. In diesem vorwärtsdrängenden und in seiner mechanischen Bewegung seltsam statischen Satz erfolgt ganz zum Ende nach der strikt im Tempo gehaltenen Solo-Kadenz eine Aufhellung nach Dur. Aber dennoch bleibt der Musik eine wahrhafte Erlösung verwehrt.
Ein weiteres Kapitel in dieser melodramatischen Geschichte ereignet sich drei Jahre danach. 1853 lernen die Schumanns den jungen Johannes Brahms kennen. Die Schumanns sind begeistert von dessen Schaffen und Robert verfasst in der Neuen Zeitschrift für Musik einen hymnischen Text,in dem er prophezeit, Brahms werde die Musik in neue Bahnen lenken. Auch im Privaten scheint der gutaussehende junge Mann dem Ehepaar zu imponieren. Clara, wie wohl auch Robert, verguckt sich in den zwanzigjährigen Tondichter und dass Brahms die Liebe zu Clara erwidert, lässt sich aus Briefen erahnen. Doch Roberts psychischer Zustand verschlimmert sich und 1856 findet er den Tod in einem Sanatorium. Brahms und Clara Schumann hätten vielleicht zueinander gefunden, doch die schattenhafte Präsenz des verstorbenen Gatten und Freundes verunmöglicht dies. Auch in seinem Schaffen hadert Brahms mit dem Erbe und dem prophetischen Auftrag, den Robert ihm hinterlassen hat. Dies zeigt sich auch in den Werken, die nach Roberts Tod entstehen, in der langwierigen Umarbeitung seines Klavierkonzerts und der Komposition der Serenade Nr. 1 in D-Dur. Brahms schwankt, ob er die gross angelegte Orchesterserenade nicht in eine Sinfonie überführen wolle, bis das Werk 1860 endlich seine finale Form erhält. Die gattungstechnische Ambivalenz bleibt jedoch bestehen. Während die ersten drei Sätze sinfonische Züge tragen, entsprechen die viel kürzeren Sätze (vier bis sechs) eher den heiteren Tanzsätzen, die eine Serenade nach klassischem Vorbild geböte. Dennoch scheint Brahms mit diesem Werk allmählich der Ausbruch aus dem „Schumann-Komplex“ zu gelingen und ebnet den Weg zu seiner grossen Komponisten-Karriere.
Konzerteinführung
um 18.45 Uhr im grossen Saal des Konservatoriums Bern
Lesung aus Briefen und Tagebucheinträgen von Clara und Robert Schumann und Johannes Brahms.
Sprecher: Michael Glatthard
Text: Moritz Achermann
„Wie auf einem Bild sehe ich im Flur eines Hauses in Düsseldorf eine Schar Kinder stehen, die blicken staunend hinauf nach dem Treppengeländer. Dort macht ein junger Mann in langem blondem Haar die halsbrecherischsten Turnübungen, schwingt sich von rechts nach links, hinauf, hinab, schliesslich stemmt er beide Arme fest auf, streckt die Beine hoch in die Luft und springt mit einem Satz hinunter, mitten unter die bewundernde Kinderschar. Der junge Mann war Johannes Brahms, die Kinder wir Schumanngeschwister.“
So beschreibt Eugenie Schumann in ihren Erinnerungen jenen schicksalhaften Tag im Herbst des Jahres 1853 als sich der gerade einmal zwanzig jährige Johannes Brahms bei ihrem Vater Robert vorstellig macht. Der junge gutaussehende Besucher hat ein Empfehlungsschreiben des berühmten Geigers Joseph Joachim und einen Stapel Noten im Gepäck. Robert Schumann fordert den schüchternen Gast auf ihm eine seiner Klavierkompositionen vor zu spielen. Brahms setzt sich ans Klavier. Robert unterbricht ihn jedoch nach wenigen Takten mit dem Ausruf: „Das muss Clara hören!“ Er stürmt hinaus und holt seine Gemahlin hinzu „Hier, liebe Clara, sollst du Musik hören, wie du sie noch nie gehört hast. – Jetzt fangen sie das Stück noch einmal an, junger Mann.“
Clara notiert in ihr Tagebuch: „Es ist wirklich rührend, wenn man diesen Menschen am Klavier sieht mit seinem interessanten jugendlichen Gesichte, das sich beim Spielen ganz verklärt.“ Robert veröffentlicht einen hymnischen Artikel in der Neuen Zeitschrift für Musik, worin er Brahms als musikalischen Erneurer preist:
„Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms, kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend, aber von einem trefflichen und begeistert zutragenden Lehrer gebildet in schwierigen Setzungen der Kunst, mir kurz vorher von einem verehrten bekannten Meister empfohlen. Er trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: Das ist ein Berufener.“
Brahms trifft das öffentliche Lob ziemlich überraschend. Eingeschüchtert und voller Ehrfurcht schreibt er: „Mein lieber Meister, Sie haben mich so unendlich glücklich gemacht, dass ich nicht versuchen kann, Ihnen mit Worten zu danken. Gebe Gott, dass Ihnen meine Arbeiten bald den Beweis geben könnten, wie sehr Ihre Liebe und Güte mich gehoben und begeistert hat. Das öffentliche Lob, das Sie mir spenden, wird die Erwartungen des Publikums auf meine Leistungen so ausserordentlich gespannt haben, dass ich nicht weiss, wie ich demselben einigermassen gerecht werden kann.“
Doch das Künstlerehepaar scheint nicht nur von Brahms musikalischen Qualitäten angetan. Der junge Mann bringt eine frische Dynamik in die schwierige Beziehung und Lebenssituation der Schumanns. Für Robert bedeutet die Freundschaft neue Lebenskraft in einer tiefen Krise. Die Stelle als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf, die er drei Jahre zuvor mit Elan angetreten hatte, euphorisiert vom Gedanken endlich seine Familie mit einem regelmässigen Einkommen ernähren zu können, bringt ihm kein Glück. Er verkracht sich mit Orchestermusikern, Choristen und den Stadtoberen. Das Cello-Konzert, das er bei der Ankunft in Düsseldorf innert zwei Wochen im Schaffensrausch komponiert wird zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt werden. Wieder nimmt die Melancholie die Überhand und sein psychischer Zustand verschlechtert sich zusehends. Auch frisch entflammte Liebe zu Johannes Brahms vermag dies nur kurzfristig zu lindern.
Clara und Johannes schreiben sich unzählige Briefe. Beginnen die ersten Sendungen aus Johannes Feder noch mit der ungeschickten Förmlichkeit „Geehrte Frau“, so geht die Anrede bald von „Verehrteste Frau“, zu „Teuerste Freundin“, zur „Teuersten Clara“, „Geliebtesten Clara“ und schliesslich zur „Herzlieben Clara“ über. Der Tonfall wird intimer. Das Sie wird zum Du.
„Ich möchte ich könnte Dir so zärtlich schreiben, wie ich dich liebe, und so viel Liebes und Gutes tun, wie ich dir’s wünsche. Du bist mir so unendlich lieb, dass ich es gar nicht sagen kann. In einem fort möchte ich Dich Liebling und alles mögliche nennen. Dein Johannes.“
Clara geniesst die schier unendliche Verehrung, die ihr der junge Brahms entgegenbringt, zumal ihr Lebensalltag arm an Zerstreuung ist. Die achtfache Mutter ist nicht nur für die Erziehung der Kinder und die Hausführung zuständig, sie hält mit ihrer pianistischen Karriere – sehr zum Missfallen Roberts – auch die Familie über Wasser. Darüber hinaus pflegt sie ihren chronisch erfolglosen und psychisch instabilen Mann, setzt sich als Interpretin für dessen Werke ein und versucht ihn im Kompositionsprozess bei Laune zu halten. Selber komponiert sie kaum noch.
Dabei hatte die Beziehung von Clara und Robert als grosses romantisches Abenteuer begonnen. Der junge Klavierstudent Robert verliebt sich in die hochbegabte Tochter seines strengen Lehrers. Robert fördert das künstlerische Schaffen der jugendlichen Clara und sucht nach einer „musikalische Zweisamkeit in Einheit“. Mit vierzehn Jahren schreibt sie ein Klavierkonzert und notiert in ihrem Tagebuch: «Den 22[s]ten bin ich mit meinem Concert fertig geworden und Schumann will es nun instrumentieren, damit ich es in meinem Concerte spielen kann.“ Clara ist sechzehn als sie sich zum ersten Mal küssen. Doch der Vater missbilligt die Verbindung. Der wankelmütige Robert, dessen Karriere als Konzertpianist jäh durch eine chronische Sehnenscheidenentzündung ihr Ende findet – nicht zuletzt hervorgerufen durch den Einsatz eines mechanischen Fingerspreizgeräts – ist in den Augen Friedrich Wiecks kein geeigneter Ehemann für seine Tochter. Auch seine Anstellung als Redaktor bei der Neuen Zeitschrift für Musik und erste Erfolge als Komponist können den Vater nicht umstimmen. Es folgen Trennung, heimliche Briefe – „Nimm mir nur nicht übel, dass ich so fürchterlich schlecht geschrieben, doch stelle dir vor, dass ich stehe und das Blatt auf der Kommode liegt, worauf ich schreibe. Bei jedem Mal eindunken in das Tintenfass lauf ich in die andere Stube.“ – und versteckte Liebesbekundungen in Klavierwerken die Robert seiner Clara zukommen lässt.
„Gestern früh traf ich deine Eltern im Rosental. Dein Vater sah aus wie eine gespannte Pistole – ich musste lachen über ihn.... Wie denk ich deiner oft; habe ich dich doch nie so innig geliebt, oft treten mir die Tränen in die Augen und lauter Liebe und Dankbarkeit gegen Dich gütige Du. O bleib mir immer auch recht treu und hold und glaub immer an mich deinen allertreuesten Lebensgefährten Robert.“
1840 erstreitet sich das junge Liebespaar vor dem Leipziger Gericht das Recht auf die Eheschliessung. Doch bald wird das Paar von der harten Lebensrealität eingeholt; der gemeinsame Weg alsbald zum Leidensweg. Robert ist eifersüchtig auf Claras Erfolge als Pianistin und muss ihr die Karriere dennoch zugestehen, da sein melancholisches Gemüt immer wieder zu Karriererückschlägen führt.
1854 stürzt sich Robert in den Rhein, wird jedoch von einem Brückenmeister gerettet. Sein Zustand wird immer schlimmer. Vielleicht sind es auch die Folgen einer frühen Syphilis-Erkrankung. Er wird in die Anstalt für Behandlung und Pflege von Gemütskranken und Irren in Endenich bei Bonn eingewiesen. Clara darf ihn auf ärztliche Anordnung nicht mehr sehen – vom Suizidversuch wird sie erst zwei Jahre später unterrichtet. Die Briefe werden spärlicher. Nur Johannes Brahms besucht Robert regelmässig und schildert Clara seine Erlebnisse. Im Juli 1856 schreibt er ihr: „Wollen Sie ihren Mann noch lebend sehen, so eilen sie unverzüglich hierher. Sein Anblick ist freilich grausenerregend.“ Später notiert Brahms:
„Ich erlebte wohl nie wieder so Ergreifendes, wie das Wiedersehen Roberts und Claras. Er lag erst länger mit geschlossenen Augen, und sie kniete vor ihm, mit mehr Ruhe, als man es möglich glauben sollte. Er erkannte sie aber hernach und auch am folgenden Tag. Einmal begehrte er deutlich, sie zu umarmen, schlug den einen Arm weit um sie.“
Am 29. Juli verlässt Clara für eine Stunde das Krankenzimmer, um einen Freund am Bahnhof abzuholen. Als die beiden zurückkehren, ist Robert tot. Am nächsten Tag schreibt Clara in ihr Tagebuch:
„Sein Kopf war schön als Leiche, die Stirn so schön klar, sanft gewölbt. All mein Empfinden ging auf in Dank zu Gott, dass er endlich befreit, und als ich an seinem Bette niederkniete, da wurde mir so heilig zumute, mir war, als schwebe sein herrlicher Geist über mir – ach, hätte er mich mit sich genommen. Ich sah ihn heute zuletzt – einige Blumen legte ich ihm noch aufs Haupt – meine Liebe hat er mit sich genommen.“
Johannes und Clara korrespondieren danach immer noch rege. Doch der Geist Roberts scheint über den beiden zu schweben. Clara bringt die Kinder bei Freunden unter, spielt viele Konzerte und kümmert sich um den Nachlass ihres Mannes. Brahms wird zum mitunter angesehendsten Komponisten. Johannes berichtet Cara von einer erfolglosen Romanze, sie reagiert verletzt: „Ach, lieber Johannes, hättest du es doch nicht so weit kommen lassen.“
Einige Jahre später taucht Brahms wieder auf. Er bezieht eine Wohnung in Baden-Baden, unweit vom Haus, in dem Clara sich jeden Sommer mit ihrer Familie trifft.
„Wir Kinder hatten Brahms alle sehr gern, aber wir behandelten ihn wie einen, der eben da ist“, erinnert sich Tochter Eugenie an Brahms, den griesgrämigen: eine mürrische Gestalt im abgetragenen Gehrock. Clara und Johannes musizieren, gehen spazieren, essen gemeinsam Abendbrot. Aber sie finden nicht mehr zusammen. Verbitterung macht sich breit.
„Schreibe mir nicht, wenn du dich verstimmt fühlst, denn jedes unfreundliche Wort, das bei dir der Erguss des Moments ist, haftet bei mir. Das Alter raubt einem der Freuden mehr und mehr, auf wie vieles muss ich jetzt verzichten, weil es die Körperkräfte nicht mehr hergeben, dazu kommen mir der Sorgen immer neue, grosse, die sich schwer tragen – mein Herz aber behauptet seine volle Kraft noch in der Liebe zu den Kindern, Freunden und der Kunst, und jeder Abbruch darin ist schmerzhaft.“
1888 fordert Clara alle Briefe von Brahms zurück – Sie tauschen. Brahms reist an den Rhein und wirft bei einer Dampferfahrt mehrere Päckchen, der von ihm verfassten Briefe in die Fluten. Als Clara sich daran macht, die ihrigen zu verbrennen, können ihre Töchter nur einige wenige retten. Am 20. Mai 1896 stirbt Clara Schumann im Alter von 71 Jahren. Brahms schreibt an den Geiger Joseph Joachim:
„Ich habe oft gedacht, Frau Schumann könne ihre Kinder alle und mich dazu überleben – gewünscht aber habe ich es ihr nicht. Erschrecken kann uns der Gedanke sie zu verlieren nicht mehr, nicht einmal mich Einsamen, dem gar zu wenig auf der Welt lebt. Und wenn sie von uns gegangen ist, wird nicht unser Gesicht vor Freude leuchten, wenn wir ihrer gedenken? Der herrlichen Frau, deren wir uns ein langes Leben hindurch erfreuen dürfen – sie immer mehr zu lieben und zu bewundern – So nur trauern wir um sie.“
Brahms überlebt seine Freundin nur um elf Monate.
Quellen:
Wiebke Matyschok: Brahms versenkt Briefe im Rhein. „Ach lieber Johannes, hättest du es nur nicht so weit kommen lassen“ (Online-Fassung von Alex Naumann), erschienen auf Br-Klassik.de am 12.8.2018
www.br-klassik.de/themen/klassik-entdecken/brahms-versenkt-briefe-im-rhein-100.html
Dietrich Fischer Dieskau und Hanns-Josef Ortheil (Hg.) Robert und Clara Schumann. Briefe einer Liebe, Athäneum 1982
Laura Henning: Die Freundschaft Clara Schumanns mit Johannes Brahms. Aus Briefen und Tagebuchblättern, Werner Classen Verlag Zürich 1946
Hans A. Neunzig: Johannes Brahms, Schott 2017
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